Im Dienste einer lebendigen Erinnerung

Karl-Heinz Häusser (links) und Jürgen Hestler im Heimatmuseum Weissacher Tal
Karl-Heinz Häusser (links) und Jürgen Hestler im Heimatmuseum Weissacher Tal. Foto: A. Becher

Weissach im Tal/Murrhardt. Jürgen Hestler hat eingeheizt in der guten Stube des Bauern- und Heimatmuseums Weissacher Tal. Er und Karl-Heinz Häusser engagieren sich im Heimatverein, der auch die Aktivitäten und Angebote in dem über 230 Jahre alten Haus bündelt. Was die Stichworte Traditionen, Bräuche und Riten anbelangt, sind sie allerdings skeptisch, dass sich da etwas ausmachen lässt, was das dörfliche Leben heute noch prägt. „Die Globalisierung macht auch vor den Dörfern nicht halt“, sagt Jürgen Hestler. Eine Wiederbelebung ursprünglicher Bräuche empfänden sie als aufgesetzt, gleichzeitig fühlen sie sich einer lebendigen, kritischen Erinnerungsarbeit jenseits von Heimattümelei verpflichtet. „Ich bin direkt gegenüber geboren“, sagt Häusser und kam zum Verein, weil er noch eine Menge über die Geschichte des Dorfes weiß. „Mein Großvater hat mir viel erzählt.“ Auch Jürgen Hestler wohnt ganz in der Nähe, kennt das dörfliche Leben – wenn auch von der Schwäbischen Alb, wo er aufgewachsen ist.

Ausspionieren im Dritten Reich stand gegenseitiger Alltagshilfe gegenüber

Karl-Heinz Häusser weiß um die Bruchlinien und Widersprüchlichkeiten solch eines Zusammenlebens. Angefangen von der sozialen Kontrolle bis hin zum gegenseitigen Ausspionieren im Dritten Reich bei einem gleichzeitigen Aufeinander-angewiesen-Sein und gegenseitiger Hilfe im Alltag. Er verließ das Dorf, studierte, kehrte später mit seiner französischen Frau wieder zurück. All das ermöglicht ihm auch einen kritischen Blick, den sich letztlich aber jeder selbst erarbeiten müsse, sagt er. Genauso möchte Jürgen Hestler die Arbeit im Heimatverein Weissacher Tal mit Weltoffenheit verbinden. Im Sommer plant er eine Art Erzählabend, zu dem Einheimische genauso wie Menschen eingeladen sind, die beispielsweise als Gastarbeiter oder Flüchtlinge hierhergekommen sind. „Wir möchten den Heimatbegriff rechtsextremen Demokratiefeinden entziehen“, sagt Hestler. „Gleichzeitig gibt es auch ein zunehmendes Bedürfnis und eine Sehnsucht nach Zugehörigkeit.“

Letztlich geht das für die beiden aber nicht in formaler Traditionspflege auf, vielmehr heißt es für sie, genau hinzuschauen. „Faszinierend finde ich die Geschichte vom Mader, der als Außenseiter, Atheist und Lebenskünstler hier im Dorf toleriert war“, sagt Hestler. Bei der Pflege der Geschichten und Geschichte kommen für das Vereinsteam beispielsweise auch die Weinbautradition, altes Handwerk, Dialekt und generationsübergreifende Gespräche und Aktionen zum Tragen.

Neben den Grautönen zeigen sich dabei auch Gewohnheiten und Werte, die in der heutigen Welt wertvoll sind beziehungsweise sein könnten und manchmal mühsam reinstalliert werden müssen. Wie beispielsweise nachhaltiges Wirtschaften, Achtung vor Lebensmitteln und der Natur, Selbstversorgung, Wiederverwertung von Rohstoffen und Solidarität in der Gemeinschaft, so Hestler. „Werte, an die wir erinnern möchten.“ Karl-Heinz Häusser fällt dazu beispielsweise eine alleinlebende Frau ein, die für die Dorfbewohner auf einem Hobel Kraut schnitt, sodass es später eingemacht werden konnte. So hielt sie sich über Wasser und die Gemeinschaft half dabei mit, indem sie diese Arbeit in Anspruch nahm. Im Keller stehen noch etliche Gläser mit eingemachten Früchten und Gemüsesorten von Frieda Heller geborene Grübele, der letzten Bewohnerin des alten Hauses und heutigen Heimatmuseums. Eingemachtes ist haltbar Gemachtes, muss nicht in den Kühlschrank – eine Facette, die zur Nachhaltigkeits- und Klimaschutzdiskussion passt. Hestler macht klar, dass die Menschen damals arm waren und ums Überleben kämpften. Selbstversorgung beispielsweise über den eigenen Garten war schlichtweg notwendig. Kochen nach alten Rezepten gehört ebenso zu den Aktionen des Vereins, er stellt aber auch fest: „Eicheleskaffee schmeckt fürchterlich“ (als Ersatz für echten). Auch das Wissen um natürliche Kreisläufe beispielsweise in der Nutztierhaltung findet er wichtig.

(…)

Zurück